Nur wenige Menschen, die dem Krieg entkommen waren, konnten als gesamte Familie fliehen. Meistens reist der Krieg die Familie auseinander. Auf der Suche nach Frieden und Sicherheit fliehen Frauen und Kinder in ruhigere Regionen, aber Männer müssen bleiben und zu den Waffen greifen.
Anders aber war es bei der Familie Mikhalev. Sie zogen aus Irpin in der Region Kyiv. Diese Stadt ist eine der am stärksten von diesem Krieg betroffenen Orte ukraineweit. Sie haben fast Unmögliche geschafft – eine Flucht aus der vor der russischen Streitkräften besatzten Stadt. Die Familie besteht aus vier Personen: Vater Serhiy (46), Mutter Lesya (40) sowie Kindern – Stanislav (9) und Anna-Maria (5). Der Vater wurde verletzt und kann momentan nicht in die Armee eingezogen werden.
In den ersten Kriegstagen seien zwei feindliche Flugzeuge buchstäblich über ihr Haus angeflogen und warfen Bomben in Richtung des friedlichen Wohnviertels. „Stanislav und ich packten gerade Sachen zusammen, als alles passierte… Innerhalb weniger Sekunden gab es eine Explosion. Es war sehr beängstigend“, erinnert sich Serhiy. Der 9-jährige Stanislav selbst sagt, er habe aber keine Angst gespürt. Da er zwischen den Kindern der älteste ist, hat er nur an seine kleinere Schwester gedacht. „Die ersten acht Kriegstage haben wir im Keller gewohnt. Wir sahen russische Soldaten, die sich in einer Kolonne in der Nähe unseres Hauses bewegten“, sagt Stanislav. Danach ohne zu zögern stieg die Familie ins Auto und fuhr so weit wie möglich vom Krieg weg. „Wir wussten nicht genau, wohin wir gehen, wir rannten einfach aus dem Haus in Hauschuhen. So sind wir hier gelandet“, sagt Lesya. Wie fast 80 anderen geflüchteten Menschen, fanden sie ihre Unterkunft im St. Basilius-Gymnasium. Hier bekamen sie warme Kleidung, Schuhe, Hygieneartikel, ein Dach über dem Kopf und vor allem ein Gefühl der Sicherheit. „Man wird hier sehr gut versorgt. Und überhaupt alle Menschen, die uns helfen, tun es mit großer Liebe! Wir spüren es“, sagt Lesya.
Die vielleicht größte Angst dieser Familie ist, ob sie einen Ort haben werden, an den sie zurückkehren können. Ob ihr Haus noch steht, wissen sie nicht. Die Familie ist jedoch davon überzeugt, dass alles in Gottes Hand liegt. „Wir sind gläubig und versuchen, Gott zu vertrauen. Wenn der Herr will, dass wir leben und uns aus dieser Hölle, in der sich unser Land befindet, herausholt, wird alles gut werden“, sagt Serhiy. Heute besucht Stanislav bereits den Online-Unterricht an einer der örtlichen Grundschulen. Auch seine 5-jährige Schwester Anna-Maria freut sich sehr über die verschiedenen Veranstaltungen, die Freiwillige für sie im St. Basilius-Gymnasium organisieren. Darunter die Kunsttherapie, die die zwei Studentinnen, die auch in demselben Haus Zuflucht finden, organisiert haben. „Das erste, was ich nach dem Krieg machen werde“, sagt Stanislav, „ist, mit meinen Eltern wandern gehen. Ich will in den Karpaten im Zelt übernachten. Und ich möchte wirklich nicht, dass wieder Militärflugzeuge über uns hinwegfliegen“. Die Familie lebt seit mehr als einer Woche im St. Basilius-Gymnasium, das seit dem Kriegsbeginn einer der Orte des Erzbistums Ivano-Frankivsk der Ukrainischen Griechisch-Katholischen Kirche ist, wo Binnenflüchtlinge aufgenommen werden. Der Plan ist, in die Heimatstadt Irpin zurückzukehren, wenn es natürlich möglich ist.